Russland - Versuch einer Positionsbestimmung aus der Friedensbewegung

15.06.2015

Vorwort
Die dramatischen Ereignisse in der Ukraine haben die Frage: „wie hältst Du es mit Russland?“ erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Die politische Auseinandersetzung um den „Friedenswinter“ wurde besonders in einigen Medien immer wieder auch mit dem Vorwurf des „Russland-Verstehers“ geführt. Einige PolitikerInnen gehen sogar so weit, sich ein militärisches Engagement der EU zum Schutz der Ukraine zu wünschen. Und die NATO drückt mit Manövern in Osteuropa, der Aufstellung einer schnellen "Osteuropa-Eingreiftruppe", an der Deutschland sich maßgeblich beteiligen will, und Ankündigungen ihrer Mitgliedsländer, die Rüstungsetats in den kommenden Jahren zu erhöhen, ihre Bereitschaft aus, 25 Jahre nach der Auflösung des Ostblocks militärische Abschreckung wieder in den Vordergrund zu stellen.

Gründe genug, einmal eine Einschätzung der russischen Politik zu versuchen. Es geht uns dabei nicht um eine Analyse der Ukraine-Krise, sondern um die Analyse der Militärpolitik eines der Konfliktbeteiligten, Russlands. Dabei spielen nicht nur die Ukraine, sondern auch weitere außen- und sicherheitspolitische Gesichtspunkte eine Rolle, von der Politik Russlands innerhalb des vormalig sowjetischen Machtbereichs bis zu Russlands Atomwaffen und seiner konventionellen Rüstung.

Dieses Papier ist von den beiden AutorInnen entworfen und auf der Basis von Rückmeldungen aus der Kooperation für den Frieden zwischen Januar und April 2015 überarbeitet worden.

Verantwortet wird es allein und persönlich von den beiden AutorInnen, Reiner Braun und Christine Schweitzer.

 

 

Einleitung
Die Frage der Positionierung zur Sowjetunion bzw. seit 1991 zu Russland (ohne behaupten zu wollen, dass Russland mit der UdSSR gleichzusetzen sei) ist keine neue. Seit der Gründung der Sowjetunion begleitet sie die Friedensbewegungen – teilweise von außen als Verdacht geäußert, man würde "die Sache des Feindes betreiben", teilweise im Kontext der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Spektren in den Bewegungen selbst entstehend. Besondere Höhepunkte erfuhr die Debatte, als die Staaten des Warschauer Pakts 1968 in der Tschechoslowakei einmarschierten, um den „Prager Frühling“, eine frühe Demokratisierungsbewegung, gewaltsam zu beenden, und angesichts der sowjetischen nuklearen Mittelstreckenraketen (SS-20) in den1980er Jahren.

Allerdings fanden all diese Diskussionen in den Parametern der unterschiedlichen Gesellschaftsund Wirtschaftssysteme statt, und es waren in erster Linie diejenigen im Westen, die dem Sozialismus sowjetischer Prägung nahestanden, die keine Kritik an der Sowjetunion zulassen wollten. Heute ist Russland ein kapitalistisches Land mit einer formalen Demokratie, die aber deutlich totalitäre Züge trägt. Ungeachtet dessen haben manche der alten Argumentationsmuster und auch die Trennlinien innerhalb der westlichen Bewegung „überlebt“.

Wir stehen also vor keiner neuen Frage. Und auch heute geht es nicht um eine politische Vereinheitlichung unterschiedlicher Positionen, sondern um einen Beitrag zu einer solidarischen Diskussion.

Die folgende Aufzählung von Aspekten benennt Gesichtspunkte, die für die Debatte über die Rolle Russlands und seine Politik von Bedeutung sind. Nicht alle mögen in dieser Schärfe von allen in der Friedensbewegung geteilt werden. Danach kommen wir dann auf die unterschiedliche politische Bewertung des Verhaltens Russland, auch in Bezug auf die Ukraine, ausdrücklich zu sprechen.

Bild entfernt.[Weiterlesen als PDF]